sda award 2024: HGK
Swiss Design Association prämiert jedes Jahr die besten Abschlussarbeiten, die an Schweizer Design Hochschulen im Bachelor eingereicht werden. Als Berufsverband setzen wir uns – seit über fünfzig Jahren – für eine hochstehende professionelle Ausbildung im Design ein.
Für den sda ba award 2024 der HGK nominierten der Studiengang Industrial Design sechs Projekte. Die Jury – mit David Schäublin, Sarah Hossli, Sylvain Gardel und Ulrich Kössl unter Leitung von Valerie Notter de Rabanal – prämierte folgende Arbeit:
sda ba award 2024 winner
«FEEL2COOK – Küchengerät für Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit»
Marla Giulia Asta (Industrial Design)
Die Zubereitung von warmen Speisen ist Grundlage für eine autonome und gesunde Ernährung. Kochfelder mit Touchbedienung, wie sie heute üblich sind, verunmöglichen vielen Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit jedoch die Nutzung.
In ihrer Bachelorarbeit beschäftigt sich Marla Giulia Asta mit den verschiedenen Hindernissen, mit welchen Menschen mit Seheinschränkungen konfrontiert sind. Ihr Lösungsvorschlag beinhaltet einerseits die Abtrennung eines Mise-en-place-Bereichs von den dahinterliegenden Kochplatten mit integriertem Heissluftabzug und andererseits einen Topf mit durchgehendem Griff und verschliessbarem Deckel sowie Gefässe für die Vorbereitung.
Das relevante Thema führt Marla mit Simulationsbrillen ein und auch die fundierte Analyse und Feldrecherche mit stringenter Fokussierung auf die zentralen Anforderungen überzeugen die Jury. Die bewusst angestrebte Gesamtlösung bezweckt die Sensibilisierung auf den kompletten Kochprozess.
Die weiteren nominierten Projekte sind (ohne Rangfolge):
«MIO – Barrierefreie Uhr für Menschen mit Trisomie 21»
Lena Huwiler
Unser Zeitsystem ist komplex aufgebaut und oftmals unverständlich für Menschen mit einer kognitiven Einschränkung.
Die Uhr «mio» bietet Menschen mit Trisomie 21 über eine alternative Zeitdarstellung Zugang: Dank der Darstellung auf einem 24-Stunden-Zifferblatt fallen verwirrende Aspekte weg. An der Anwendung als Tischuhr können die Termine der Woche zusammen mit einer Betreuungsperson modelliert, durch die betreuende Person in einem Planungstool eingegeben und mittels einer farbcodierten Visualisierung angezeigt werden. Eine Armbanduhr lässt sich am Gehäuse der Tischuhr laden und synchronisieren. Der Magnetverschluss am Zifferblatt soll das An- und Ablegen auch bei eingeschränkter Feinmotorik erleichtern, das Armband ermöglicht die Individualisierung.
Lena Huwiler hat ihre Lösung auf ihren betroffenen Bruder zugeschnitten und mit ihm getestet. An seinem Beispiel funktionieren auch die zusätzlichen Reminder, welche durch filigrane Pins an der Tischuhr gesetzt werden können. Tatsächlich ist die Beobachtung der Notwendigkeit eines Impulses einleuchtend.
«ZIG ZAG – Cobots in der Holzindustrie»
Vincent Julmy (Industrial Design)
Die Verwendung von Kunstharzleimen in der Möbelproduktion wirft Probleme in Bezug auf die Nachhaltigkeit auf: Kunstharzleime sind umweltschädlich und ihre Dämpfe giftig. Verleimte Teile erschweren ausserdem die Reparatur des Möbels oder seiner Teile, den Transport und die Trennung der Materialien beim Recycling.
In seiner Diplomarbeit interpretiert Vincent Julmy traditionelle Holzverbindungen neu und erforscht das Potenzial der Robotik in der Holzbearbeitung. Seine fundierte Recherche und die hohe Verarbeitungsqualität überzeugen. In der Bank «Zig Zag» vereint er eine ganze Reihe von Lösungen, die aber erst bei der Demontage oder Verlängerung der Sitzfläche sichtbar werden.
Die Jury begrüsst die Bestrebung, die Produktion preisgünstiger und nachhaltiger Möbel in der Schweiz mittels Automatisation voranzutreiben. Um dies zu erreichen, sieht sie das Potenzial jedoch primär in Techniken, die auf Produktions- wie auf Kundenseite niederschwelliger zugänglich sind. Sie möchte Vincent mit seinen Kompetenzen als Designer und seinem Fachwissen als Schreiner ermuntern, weiterzuforschen und die Ergebnisse auf weitere Verbindungen und modulare Anwendungen zu deklinieren.
«BOUVUE – Richtungsgesteuerte Lautsprecher zur verbesserten Verständlichkeit»
Svenja Mischler (Industrial Design)
«Bouvue» ist ein zweiteiliger Stereo-Lautsprecher für das Heimkino, welcher insbesondere Menschen mit Höreinschränkung bei diesem sozialen Erlebnis eine bessere Sprachverständlichkeit ermöglichen soll. Beidseitig des TVs kann er auf einem Möbelstück oder auf dem dazugehörigen Ständer aufgestellt werden. Mit seinem auffälligen integrierten Horn am beweglichen oberen Teil erinnert er an eine Pingufigur. Ein weiteres, verstellbares Horn im Inneren bietet zusätzlich die Möglichkeit zur individuellen Anpassung und Verstärkung von hohen und tiefen Frequenzen. Bei Bedarf kann man den oberen Teil näher zu sich nehmen.
Svenja Mischler hat in ihrer fundierten Recherche mehrere unterschiedlich betroffene Personen befragt und sich mit verschiedenen Expert:innen ausgetauscht. Daraus resultieren Erkenntnisse zu Abstrahlverhalten, Lautstärke und Frequenzen, Bündelung und Ausrichtung sowie Mehrteiligkeit, welche sie in ihre Gestaltung miteinbezieht. Das präsentierte Produkt argumentiert sie schliesslich aber hauptsächlich anhand eigener Bedürfnisse.
Die Jury möchte dazu ermuntern, die Entscheidungen mittels wissenschaftlichen Messungen und Testings unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu überprüfen. Die relevante Thematik der Sprachverständlichkeit hat das Potenzial für weitere Kontexte auch formal erweitert zu werden.
«UNICO – Ein innovativer Alltagsschuh für Kinder mit Orthesen»
Vera Vogelsanger (Industrial Design)
Alle sechs Monate etwa eine Schuhgrösse – so schnell wachsen Kinderfüsse. Das gilt auch für Kinder, die aus medizinischen Gründen Unterschenkelorthesen tragen.
Mit dem Ziel, diesen Kindern ästhetisch ansprechende Schuhe zu bieten, in die sie trotz Orthese leicht hineinschlüpfen und sich damit wohlfühlen können, hat Vera Vogelsanger in ihrem Bachelorprojekt «Unico» entworfen: Die Schuhe werden aufgrund von digitalen Messdaten passgenau gefertigt. Sie bestehen aus nur drei Teilen, deren Farben frei wählbar sind – Aussensohle, Innensohle und Textil –, sind nicht verleimt und vollständig recycelbar. Durch digitale Fertigung, moderne 3D-Druck- und 3D-Stricktechnik werden die Schuhe ohne manuelle Bearbeitung gefertigt und können lokal produziert werden. Das vermeidet lange Lieferwege und Materialverschnitt und verringert die Kosten.
Vera Vogelsanger hat in ihrem Prozess verschiedene digitale Techniken virtuos angewandt und viele Materialien getestet. Im Austausch mit Fachleuten aus der Orthopädietechnik hat sie ihre Resultate auf eine überzeugende Lösung heruntergebrochen.
Die Jury lobt ihre Technologieoffenheit und empfiehlt, die Visualisierungen aus der Recherche stilistisch noch mehr in das Produkt einzuarbeiten. Ein Businessmodell, welches die bestehende Kundenbindung zur Einlösung der Nachhaltigkeitsüberlegungen nutzt, könnte die Annäherung zur Erprobung im Schweizer Markt weiter vorantreiben.
«G.O.A.T. – Beinprothese für den Hobbysport»
Lorena von Büren
Beinamputierte Menschen klettern einbeinig oder manchmal auch mit selbstgebauten Prothesen, denn in der Schweiz werden (noch) keine Kletterprothesen angeboten. Alltagsprothesen eignen sich nicht fürs Klettern, da der Prothesenfuss für kleine exakte Tritte viel zu klobig ist. Auch die Kosten sind ein Hinderungsgrund für die breite Nutzung von Freizeitmodellen. Dabei stellt gerade für beinamputierte Menschen die sportliche Betätigung einen wichtigen Ausgleichsfaktor dar.
Mit der Beinprothese «G.O.A.T» will Lorena von Büren den Betroffenen den Zugang zum Trendsport Klettern und Bouldern vereinfachen. Im Austausch mit beinamputierten Kletterern und durch Selbstversuche mit hochgebundenem Bein hat sie ihr Verständnis für die Herausforderungen geschärft. Die Fussform ist von den eingesetzten Modellen abgeleitet, während sie sich bei der Überarbeitung der Unterschenkelprothese an bionischen Prinzipien orientiert hat. Das Resultat ermöglicht eine verbesserte Sicht und damit eine exaktere Platzierung am Klettergriff.
Die Jury sieht insbesondere im modularen Aufbau Potenzial: Neben der angestrebten Reparaturfähigkeit könnten verschiedene Szenarien wie der Einbezug von unterschiedlichen Kletterbedingungen sowie den Momenten vor und nach dem Klettern das Projekt bereichern. Dem Ziel einer breiteren Zugänglichkeit könnte ein Sharingmodell, beispielsweise in einer Kletterhalle, Vorschub leisten.